„An der Frage, ob wir meinem Vater sterben helfen, ist meine Familie fast zerbrochen.“
Christina Kaufmann ist Rechtsanwältin und hat normalerweise in ihrem Berufsleben mit Verträgen und Wirtschaftsstreitigkeiten vor Gericht zu tun. Im letzten Jahr aber wurde sie von ihrem sterbenskranken Vater auf eine schwere Probe gestellt – als Tochter und als Juristin. Unheilbar an Krebs erkrankt und seit Monaten im Hospiz, bat er sie damals, ihm aktiv beim Sterben zu helfen.
Christina, wie war für Dich der Moment, als Dein Vater Dich gefragt hat, ob Du ihm beim Sterben helfen würdest?
Seinen Wunsch hab‘ ich sofort verstanden und auch richtig gefunden. Mein Vater war 79 Jahre alt und vier Jahre zuvor mit Krebs diagnostiziert worden, mit einer potenziellen Lebenserwartung von einem bis vier Jahren. Als erfolgreicher Architekt hat er stets unabhängig und selbstbestimmt über sein Leben entschieden. Und nun hatte er große Angst davor, einfach nur noch dahin zu siechen. Zudem wurden die Schmerzen zunehmend unerträglich.
Und wie hat Deine Familie reagiert?
Meine Mutter hat seine Beweggründe auch gut nachvollziehen können, hat die Möglichkeit aber als rein theoretisch abgetan. Mein Bruder aber konnte mit der Situation garnicht gut umgehen.
Nachdem Dein Vater seine Entscheidung getroffen hatte, was passierte dann?
Mein Vater war der Meinung, dass ich als Rechtsanwältin ihm am besten helfen könne. Und nachdem ich die Frage erst einmal verdaut hatte, fing ich an, mich zu dem Thema schlauzumachen. Das ist nicht einfach, auch für eine Juristin nicht. Nach einer umfassenden Recherche haben wir dann nach einigen Wochen Kontakt zu einem großen Sterbehilfe-Verein aufgenommen, der in der Schweiz tätig ist, die aktive Sterbehilfe ja gesetzlich erlaubt. Der Weg wäre dann folgender gewesen: Ich wäre mit meinem Vater in die Schweiz gefahren. In einem Hotel hätte jemand vom Verein uns dann das Medikament gebracht. Mein Vater hätte es dann selbst nehmen können und der Mitarbeiter hätte uns dann bis zum Ende begleitet. Alle erforderlichen Sterbe-Dokumente wären nach Schweizer Recht ausgestellt worden, und mein Vater wäre dann wieder zurück nach Deutschland überführt worden.
Doch mit diesem Ablauf hatte meine Mutter dann ein echtes Problem. Sie konnte den Gedanken nicht ertragen, dass ich zusammen mit meinem Vater losfahre und dann alleine wieder zurückkomme. Und ehrlich gesagt, weiß ich auch bis heute nicht, ob ich das durchgehalten hätte.
In Deutschland konnte Euch niemand helfen?
Natürlich hab‘ ich mich im Vorfeld in meinem Freundes- und Bekanntenkreis nach Möglichkeiten erkundigt – beispielsweise bei Ärzten und Apothekern, die wir teilweise sehr gut kennen. Aber ich bin dabei auf großen Widerstand gestoßen. Niemand wollte sich konkret dazu äußern, beispielsweise welche Menge von welchem Schlafmittel man benutzen müsse oder Ähnliches. Generell gab es eine große Scheu, dieses heikle Thema überhaupt anzufassen. Ich glaube, das liegt auch daran, dass die entsprechende Rechtslage in Deutschland auch jetzt noch vollkommen unzureichend geklärt ist. Und das, obwohl das Bundesverfassungsgericht Anfang dieses Jahres hierzu ein eindeutiges Urteil gesprochen hat. Zusätzlich gibt es natürlich grundsätzlich eine kulturelle Abneigung, sich mit dem Sterben generell und dem begleitetem Suizid im Speziellen zu befassen. Letztendlich hat uns ein Arzt wissen lassen, dass mein Vater lediglich die Möglichkeit habe, die Nahrungsaufnahme zu verweigern. Dann könne man sein Ableben ‚palliativ‘ mit Medikamenten unterstützen – beispielsweise mit starken Schmerz- oder Betäubungsmitteln. Im Klartext wäre mein Vater also verhungert. Das empfinde ich als grausam und unmenschlich.
Wann wurde das Thema dann wirklich konkret für Euch?
Im Herbst 2019 hatten wir noch mal die Möglichkeit, meinen Vater nach Föhr zu bringen. Das Hospiz hat uns dafür den sogenannten Wünschewagen zur Verfügung gestellt. Dabei handelt es sich um einen speziell ausgestattetes Ambulanzfahrzeug mit Personal, das kurzzeitig individuell für ganz persönliche Wünsche des Sterbepatienten genutzt werden kann. Föhr war für meinen Vater und unsere Familie immer ein wichtiger Anlaufpunkt. Hier haben wir seit Jahrzehnten gemeinsam viele schöne Stunden verbracht. Danach kam die Aufforderung des Sterbehilfe-Vereins, die erste Rate für die Sterbe-Betreuung zu überweisen. Das Prozedere ist nämlich auch nicht ganz billig. Insgesamt kann man mit rund 10.000 Euro dafür rechnen, plus Überführungs- und Bestattungskosten. Als es dann so konkret wurde, hat sich dann meine Mutter komplett zurückgezogen. Solange die Diskussion quasi hypothetisch war, war es ok für sie. Aber jetzt, wo es ernst werden sollte, war ihr das zuviel. Und damit brach auch ein großer Konflikt in der Familie auf. Während mein Bruder mit meinem Vater noch mal ausgedehnte Ausflüge in Hamburg und Umgebung unternahm, um ihm zu zeigen, dass das Leben doch noch lebenswert sei, habe ich versucht rauszufinden, ob man das Medikament, das in der Schweiz verabreicht wird, auch irgendwo anders bekommen kann. Dabei bin ich im Internet auf einige mehr oder weniger suspekte Quellen gestoßen. Neben der Frage, wie wirksam die dort angebotenen Substanzen letztendlich sind, musste ich natürlich auch klären, ob ich mich schon allein dadurch strafbar mache, dass ich diese Mittel im Ausland bestelle.
An diesem Punkt hatte ich eine Idealvorstellung, dass ich gemeinsam mit einem Vater noch einmal eine schöne Flasche Cremant trinke, wie wir es auch in den Monaten zuvor regelmäßig gemacht haben. Dann hätten wir uns verabschiedet und ich hätte ihm das Mittel hingestellt und wäre gegangen. Auf diese Weise hätte ich ihn so in Erinnerung behalten, wie ich ihn mein Leben lang gekannt hatte.
Wie ist der Streit dann ausgegangen?
Gottseidank mussten wir die finale Entscheidung nicht mehr treffen. Ende 2019 ging es dann sehr schnell und mein Vater ist an den Folgen seiner langen Krankheit gestorben. Uns allen ist trotz des schmerzlichen Verlusts natürlich in dieser Hinsicht ein Stein vom Herzen gefallen. Denn wenn ich meinem Vater aktiv beim Sterben geholfen hätte, wäre unsere Familie daran sicherlich zerbrochen.
Welche Lehren ziehst Du aus Deinen Erfahrungen?
Für mich ist die aktuelle Situation unhaltbar. Unser höchstes Gericht hat festgestellt, dass es ein Recht auf selbstbestimmtes Sterben gibt. Todkranke Menschen, die für sich die Entscheidung treffen, dass sie sterben wollen, können einen entsprechenden Antrag beim örtlichen Gesundheitsamt stellen. Das Problem ist, dass die Gesundheitsämter deutschlandweit noch keinen einzigen dieser Anträge genehmigt haben. Menschen so allein und im Ungewissen zu lassen mit einer solch schwierigen Problematik ist unfair. Doch die Politik zeigt wenig Interesse, hieran was zu ändern. Dass das anders geht, zeigen andere Länder wie die Niederlande und die Schweiz oder zuletzt auch Neuseeland, wo es eine Volksabstimmung zu dem Thema gab. Fast zwei Drittel der Neuseeländer waren dafür, die Möglichkeit zu schaffen, todkranken Menschen das Sterben aktiv zu erleichtern. Es wäre schön, wenn die aktuelle Debatte dazu führen würde, dass Menschen, die ohnehin schon im Hospiz versorgt werden, auf legalem Wege ein Mittel für einen schmerzfreien, leichten Suizid bekommen könnten – wenn sie es wünschen. Ich würde es begrüßen, wenn das Urteil des Bundesverfassungsgerichts so umgesetzt würde, und man nicht mehr den wechselhaften politischen Entscheidungen und dem Gutdünken der Gesundheitsämter ausgesetzt wäre. Denn ich wünsche niemanden, vor eine ähnliche Entscheidung gestellt zu werden, wie die, die wir vor einigen Monaten beinahe hätten treffen müssen.
Ich bedanke mich für das Gespräch.