Wenn der Schmerz nicht endet!
Ein Trauerberater kann in einer Krise hilfreich sein.

Der Tod ist immer präsent – umso mehr neigen gerade Menschen im westlichen Kulturkreis dazu, ihn zu verdrängen. Doch am Ende muss sich jeder Mensch mit dem endgültigen Abschied auseinandersetzen. Egal ob plötzlicher Tod oder lange Krankheit – am Ende steht man mit unendlicher Trauer vor der Leere.
Grundsätzlich sind Menschen psychisch in der Lage, mit dem Schmerz umzugehen – das Sprichwort „die Zeit heilt alle Wunden“ hat einen realen psychologischen Hintergrund. Doch so verschieden die Menschen sind, so unterschiedlich ist auch die Fähigkeit der Trauernden, den Verlust zu verarbeiten. Einer wissenschaftlichen Studie zufolge entwickeln rund 9 bis 20 Prozent aller Trauernden Symptome für „komplizierte bzw. chronische Trauer“ (Prigerson 1999).
Wer ist gefährdet?
Die Art und Weise, wie jemand mit dem plötzlichen Tod eines geliebten Menschen umgeht, ist multikausal. Die Todesumstände spielen ebenso eine Rolle wie die Art der Beziehung, in der jemand zum Verstorbenen gestanden hat. Auch Persönlichkeitsfaktoren wie der Glaube an ein Jenseits oder psychische Krankheiten beeinflussen den Trauerprozess. Generell scheinen Menschen mit ausgeprägtem Optimismus und in sicheren sozialen Umständen besser vor chronischer Trauer geschützt zu sein – der plötzliche Tod und der heftige Schmerz können aber jeden aus der Bahn werfen.
Ein zusätzliches Problem entstand während der Corona-Pandemie: Im Lockdown war es Angehörigen oft verboten, von Sterbenden Abschied zu nehmen. Eine ungeheure Belastung für die Trauernden – vom Leid der Sterbenden gar nicht erst zu sprechen.
Risikofaktor Einsamkeit
Eines scheint aber klar zu sein: Einsamkeit oder soziale Isolation verursachen verstärkt einen problematischen Verlauf der Trauerarbeit. Wo früher Religion bzw. Kirche Stütze bot, gibt es heute immer mehr Menschen, die sich alleine fühlen und sich vergeblich wünschen, dass jemand zuhört. Schon Anfang der siebziger Jahre sprachen die beiden Psychoanalytiker Alexander und Margarete Mitscherlich von einer „Unfähigkeit zu trauern“ in Deutschland.
Was ist Trauerberatung?
„Ich werde schon damit fertig“ – ein schlechter Rat an sich selbst. Wer sich alleine fühlt oder jemanden der zuhört sucht, sollte unbedingt ein Gesprächsangebot der Trauerberatung in Anspruch nehmen. Denn Trauerberatung ist vor allem eins: zuhören. Wer von unendlicher Trauer erfüllt ist, braucht Ruhe und Rückzug – aber auch jemanden, der mit ihm in Kontakt tritt und ihm zuhört. Das können Freunde und Familienmitglieder sein. Oft ist es für Betroffene aber einfacher, sich in dieser Situation Fremden gegenüber zu öffnen – hier hilft die Trauerberatung.
Die freiwillige Mitwirkung des Trauernden ist dabei unumgänglich. In einer Meta-Analyse, die 35 Studien einbezog, wurde 1999 von Allumbaugh und Hoyt gezeigt, dass gute Ergebnisse der Trauerbegleitung dann gegeben waren, wenn die Betroffenen selbst über die Beratung entscheiden durften. Trauernde scheinen also zu wissen, ob sie Unterstützung benötigen. Den notwendigen Schritt zu gehen ist aber oft eine hohe Hürde.
Das erfordert ein hohes Maß an Empathie, Fingerspitzengefühl und Geduld des Beraters. Für professionelle Trauerbegleiter gibt es daher Qualifizierungsmaßnahmen.
Und was bringt mir das?
Niemand kann einem Trauernden den Schmerz nehmen oder den Verlust rückgängig machen. Trauerberatung kann auch nicht dafür sorgen, dass der Trauernde wieder lacht oder am gesellschaftlichen Leben teilnimmt. Aber sie kann dafür sorgen, dass er sich nicht länger allein fühlt. Dass er seinen emotionalen Ausnahmezustand artikulieren kann. Dass er Zorn, Wut und Verzweiflung endlich zulassen kann. Und – am Ende – den Verlust akzeptieren kann. Die Ziele der Trauerberatung sind daher:
- Ein Gesprächsangebot, das den Betroffenen ermutigt, sich seinen Emotionen zu stellen.
- Ein Hilfsangebot, um sein Leben in seinem ganzen Konzept auf die neue Realität einzustellen.
- Eine Begleitung, die Realität des Verlustes anzuerkennen.
Vor dem Tod an nach dem Tod denken?
Ja, sollte man. Nicht immer handelt es sich um einen plötzlichen Tod. Manchmal zeichnet sich der Verlust Monate oder Jahre im Vorhinein ab. Bereits in dieser Phase ist manchmal absehbar, dass der Abschied und die folgende Trauerphase besonders intensiv verlaufen werden. In diesem Fall macht es Sinn, bereits präventiv durch eine Intervention den ganzen Prozess zu begleiten.
Grundsätzlich wäre es wünschenswert, allen Hinterbliebenen ein entsprechendes Angebot der Trauerbegleitung und -beratung zu machen. Vor allem notwendig ist es natürlich in besonders belastenden Trauerfällen – etwa, wenn Eltern ihr Kind verlieren.
Auf was muss ich mich einstellen?
Wer sich zu einer Trauerberatung entschlossen hat, gibt Richtung und Tempo vor. Der Beratende muss und wird das aushalten: Schuldgefühle, Verzweiflung, das Gefühl, nicht genug getan, sich nicht richtig verabschiedet zu haben. All das gehört zum Trauerprozess.
Generell werden vier Phasen der Trauer unterschieden.
- Nicht-Wahrhaben-Wollen. Der Betroffene ist noch geschockt, fühlt sich ohnmächtig. Hier wird die Trauerbegleitung vor allem durch ihre Präsenz ein Angebot zur Aussprache sein – wenn der Trauernde das wünscht.
- Emotionale Phase. Hier können alle Emotionen vorkommen – und das kann Wochen, Monate oder sogar Jahre dauern. Aufgabe der Trauerbegleitung in dieser Phase ist es, den Trauernden zu ermutigen, diese Emotionen zuzulassen.
- Trennungsphase. Hier setzt sich der Trauernde mit dem Verstorbenen auseinander. Vielleicht sucht er Orte auf, die ihn mit dem Toten verbindet. Gerade in dieser Phase ist es wichtig, jemand der zuhört zu haben. Wer sich in seinem Schmerz alleine fühlt, kann diese Phase kaum heilsam bewältigen.
- Neufindung. Der Schmerz schwindet, das Leben ohne den Toten beginnt. Dabei handelt es sich um echte Trauer“arbeit“. So hat der amerikanische Psychologieprofessor J. William Worden den Trauerprozess ähnlich gesehen wie die Heilung nach einer körperlichen Verletzung. Eine andere Analogie Wordens ist der Wachstumsprozess von Kindern. Auch sie entwickeln sich weiter und müssen ihre Erfahrungen in ihr Weltbild inkludieren. Ebenso muss der Trauernde seine veränderte Welt akzeptieren und neu strukturieren.
Schmerz online bewältigen
Selbsthilfegruppen sind eine besondere Art der Trauerberatung. Hier organisieren sich betroffene Menschen. Kann das ohne persönlichen Kontakt funktionieren? Ganz klar: ja. Denn der wichtigste Aspekt ist gegeben: Da ist jemand, der zuhört. Online-Gruppen können auch der erste Schritt zurück ins Leben sein – und vielleicht der Anlass, professionelle Trauerbegleitung in Anspruch zu nehmen. Zudem gibt es in vielen Städten auch ein Trauercafé, in dem man sich mit anderen Betroffenen austauschen kann. Es ist für viele Betroffene eine wichtige und emotionale Erkenntnis: Sie sind nicht alleine. Der Tod ist das Ereignis, das alle Menschen und alle Lebewesen verbindet – und mit dem sich gerade die westliche Gesellschaft viel mehr auseinandersetzen sollte. Nur so kann verhindert werden, dass immer mehr Menschen mit ihrer Trauer alleine bleiben und keinen Weg mehr aus der Verzweiflung finden.
Anlaufstellen
Deutschland
https://bv-trauerbegleitung.de/
https://www.therapie.de/psyche/info/ratgeber/lebenshilfe-artikel/trauer/hinterbliebenenberatung/
Österreich
https://www.trauerbegleiten.at/
Schweiz