Was, wenn das Allerschlimmste passiert?
Wer ein ungeborenes Kind verloren hat, fühlt sich oft zunächst unfähig, zu einem normalen Leben zurückzukehren. Doch es gibt Hilfe.
Die meisten Menschen antworten auf die Frage, was sie am meisten fürchten bzw. was das Schlimmste ist, das ihnen im Leben passieren könnte, mit den Worten „der Tod eines meiner Kinder“. Wer einen so gravierenden und alles verändernden Todesfall in seiner Familie oder in seinem Bekanntenkreis miterleben musste, weiß, dass es kaum schmerzvollere Dinge im Leben gibt.
Ein ungeborenes Kind zu verlieren
Vielen jedoch ist es nicht bewusst, dass auch Menschen, die ein Kind verlieren, bevor sein Leben außerhalb des Mutterleibs begann oder kurz danach, genauso trauern und leiden. Auch ihnen wird der Boden unter den Füßen weggezogen. Alle Vorfreude, die Vorbereitung, die Gedanken um den Namen und das Aussehen des Kindes, über seine Zukunft und das gemeinsame Leben werden mit einem Schlag zunichte gemacht.
Fehlgeburt, Totgeburt oder stille Geburt
Wenn ein Kind seinen Geburtstag nicht erlebt, wird es medizinisch als Fehlgeburt oder Totgeburt bezeichnet. Der Unterschied liegt meist im erreichten Körpergewicht von über 500 Gramm oder dem Überschreiten der 24. Schwangerschaftswoche (in der Schweiz 22. Schwangerschaftswoche). Ab diesem Zeitpunkt wird das Kind als Totgeburt oder stille Geburt bezeichnet, vor diesem Zeitpunkt als Fehlgeburt.
Für die Eltern spielt dieser Unterschied jedoch keine Rolle. Für sie ist das, worauf sich ihre Gedanken in den letzten Wochen am meisten konzentriert haben, von einem zum anderen Tag weggebrochen.
Trauer verarbeiten – Trauerarbeit
Für die Trauerverarbeitung – man weiß das aus der Trauerforschung und Psychologie – ist es wichtig, dem Kind im Familienumfeld eine Präsenz zu geben. Essenziell ist, dass das ungeborene Kind nicht totgeschwiegen wird.
Es gibt mittlerweile viele Bestatter, die wunderschöne Verabschiedungsfeiern für ungeborene Kinder abhalten. Das Kind bekommt so einen Namen und einen Platz, die die Familie auch in Zukunft begleiten. Bereits zuvor oder auch nachher geborenen Geschwistern soll ihr Schutzengel-Geschwisterkind nicht vorenthalten werden.
Für Tränen und Trauer sowie Gespräche muss innerhalb und außerhalb der Partnerschaft Platz sein. Manchmal ist dies für Familienmitglieder oder Freunde unangenehm, weil sie nicht wissen, wie sie mit dem Schmerz der Eltern und Großeltern umgehen sollen, wie und wann sie den Todesfall ansprechen können. Hier helfen nur klärende Fragen wie: Magst du darüber reden? Darf ich dich etwas zum Tod von Xy fragen? Darf ich dich zum Tod von Xy einfach ansprechen oder soll ich warten, bis du dich mitteilen möchtest? Eltern sollen und dürfen sich selbst das Recht zu Trauer und Mitteilung einräumen und Angehörige und Freunde sollen und müssen dieses Recht respektieren.
Sternenkind und Engelskind
Erst seit einigen Jahren wird der schöne Begriff Sternen- oder Engelskind für ein fehl- oder totgeborenes Kind verwendet. Wenn man mit Frauen spricht, die vor zwanzig, dreißig oder mehr Jahren ein Kind verloren haben, erfährt man traurige Tatsachen: Meist wurden die Kinder einfach „entfernt“ und die Frauen erfuhren nie, wo und wie ihr Kind bestattet wurde. Ihre Kinder erhielten keinen Namen und keinen ehrenvollen Platz in der Familie. Ihre Trauer wurde nicht durch Gespräche mit Freunden oder Verwandten, oft nicht einmal in der Partnerschaft, begleitet.
Vieles hat sich verändert. Der Schmerz ist deswegen nicht geringer, aber die Trauerbewältigung und das Ertragen des Schmerzes ist einfacher, wenn das Sternenkind den Platz in der Familie erhalten hat, der ihm zusteht. Dabei ist es ganz egal, ob sein „zur Welt kommen“ eine Fehlgeburt oder Totgeburt war oder ob es kurz nach der Geburt sterben musste.
Hilfe beim Verlust eines Kindes
Ein Trauerprozess dauert seine Zeit und darf dies auch. Wohlgemeinte Worte wie „Ihr bekommt sicher bald ein zweites Kind“ oder „Es war ja noch kein richtiger Mensch“ oder „Seid doch froh, das Kind wäre ja behindert gewesen“ sind absolut fehl am Platz. Weder tröstet der Blick in die Zukunft noch der Hinweis auf mögliche Behinderungen. Wer helfen möchte, spricht das Thema offen an und akzeptiert – auch noch Wochen und Monate danach – Tränen und Trauer.
Für einige kann es eine Hilfe bedeuten, wenn sie ihrem Schmerz Raum geben, indem sie ihrem Kind Briefe schreiben oder mit ihm auf sonst eine Weise kommunizieren. Es gibt wunderschöne, hilfreiche Bücher zum Thema Sternenkinder, die auch trauernden Eltern mit der Zeit wieder etwas Hoffnung geben.
Manche dieser Bücher wurden von Eltern selbst geschrieben, manche von Großeltern, die oft doppelt trauern: um ihr verstorbenes Enkelkind und für ihr eigenes Kind, das durch ein so großes Leiden gehen muss.
Andere Werke wiederum bieten spirituelle oder religiöse Hilfe. Wer in diese Richtung hin offen ist, kann durch sie Trost erfahren. Sie wollen den trauernden Eltern zeigen, dass ihr Kind durch Raum und Zeit bei ihnen ist – vielleicht schon auf dem Weg in ein neues Leben auf der Erde und ihnen nahe.
Gedichte und Lieder über das verlorene Kind
In manchen Büchern wird das Erlebte in Gedichten und Liedern über das geliebte, verlorene Kind verarbeitet.
Manche Eltern gestalten ein Video für ihr Kind und geben dies an ihre Freunde und Familie weiter. Es handelt sich dabei um aufeinanderfolgende Bilder, die mit schöner Musik untermalt und mit ihren Gedanken als Untertitel vervollständigt werden. Gerade Menschen, die sich schwer mit Worten tun, können so ihre Liebsten an ihren Gedanken und ihrer Trauer um das ungeborene Kind teilhaben lassen.
Es gibt ehrenamtliche Sternenkinderfotografen, die die Eltern im Krankenhaus besuchen und Bilder des Kindes machen. Vielleicht wird nur sein Füßchen oder Händchen, sein Gesicht oder ein Geschwisterkind mit dem Kind in einer Decke im Arm fotografiert. Vielleicht wird aus diesen Bildern dann eine Geburts- und zugleich Todesanzeige gemacht, vielleicht landen sie aber auch „nur“ im Familienalbum.
Wichtig ist, sich Zeit zu lassen für ein Zurückfinden in den Alltag, der nie wieder so sein wird wie vorher. Das heißt nicht, dass er nie wieder schön sein wird, doch wird er anders sein. Jeder ein Kind verloren hat, muss durch einen mehr oder weniger langen Trauerprozess gehen, doch jeder reagiert anders. Manche müssen sich vielleicht sofort das vorbereitete Kinderzimmer mit der Wiege und den Babysachen aus den Augen räumen, andere schaffen das erst nach Monaten – beides ist richtig.
Rechtliches
Auch das Gesetz unterscheidet in Deutschland, Österreich und der Schweiz zwischen Fehl- und Totgeburten. Mit der Begriffsunterscheidung kommen die Aspekte Mutterschutz und Bestattungspflicht ins Spiel.
Mit kleinen Ausnahmen zwischen den Ländern, was die Fachbezeichnungen betrifft, hat die Mutter nach einer Fehlgeburt (unter 500 g Gewicht UND jünger als 24 Wochen/22 Wochen in der Schweiz) kein Recht auf Mutterschutz.
Bei einer Totgeburt (über 500 g Gewicht oder älter als 24 Wochen/22 Wochen in der Schweiz) hat sie dieses Recht sehr wohl. Die Dauer des Mutterschutzes ist gleich wie bei einer Lebend- bzw. Normalgeburt.
Sollte sich eine Mutter nach einer Fehlgeburt verständlicherweise außerstande sehen, sofort wieder zu arbeiten, kann ihr dies durch Krankmeldung/Krankenstand ermöglicht werden.
Auch die Bestattungspflicht richtet sich nach denselben Richtlinien. Eine Totgeburt muss über ein Bestattungsunternehmen bestattet werden, eine Fehlgeburt kann bestattet werden.
Viele Gemeinden haben in den letzten Jahren für ihre Sternenkinder ein gemeinsames Sternengrab eingerichtet. Auch dies mag für viele Eltern ein Trost sein, wenn sie andere Mütter und Väter sehen, die eine Blume oder einen kleinen Teddybären auf das Grab legen. Vielleicht ergeben sich so auch helfende Gespräche.
Jede Totgeburt wird außerdem im Geburtenregister eingetragen. Das Gesetz hat sich insofern der Diskussion um Sternen- und Engelskinder angepasst, als es den betroffenen Eltern die Möglichkeit gibt, ihr Kind, auch wenn es eine Fehlgeburt ist, ebenso ins Geburtenregister eintragen zu lassen, um ihm einen „Platz in der Welt“ zu geben.
Quellen für rechtliche Auskunft:
https://www.engelskinder.ch/info.html
https://www.oesterreich.gv.at/themen/familie_und_partnerschaft/geburt/4/2/Seite.080105.html
https://www.bmfsfj.de/bmfsfj/themen/familie/sternenkinder-75368