Rituale, die die Trauer lindern
Wenn der Schmerz über den Verlust unerträglich scheint, helfen kleine Zeremonien im Alltag

Irgendwann kommt für jeden die Zeit, das man Abschied von der Welt nehmen muss. Der Tod geliebter Menschen, naher Verwandter oder langjähriger Freunde wirft viele Menschen aus der Bahn. Für eine Weile ist nichts mehr, wie es einmal war. Doch die Erde dreht sich weiter. Für andere Menschen ist im selben Moment nichts passiert. Ihr Leben geht seinen gewohnten Gang. Die meisten Menschen im Umfeld trauernder Personen erwarten daher, dass diese in absehbarer Zeit ihre Trauer überwinden können und wie gewohnt weitermachen.
Doch Trauer verläuft nach eigenen Regeln. Sie hält sich an keinen Zeitplan. Sie kommt und geht in unterschiedlichen Phasen. Jeder Mensch muss lernen, mit den Gefühlen des Schmerzes über einen Verlust umzugehen. Auch wenn der Abschied von einem Menschen erwartbar war, kann es schwer sein, ihn endgültig loszulassen. Wesentlich schwerer ist der Verlust, wenn der Tod einen Menschen unvermittelt und ohne Vorwarnung aus dem Leben reißt. In diesem Fall ist die Leere, die er zurücklässt, nur schwer zu füllen. Doch Rituale können helfen, den schmerzlichen Verlust anzunehmen. Man kann damit leben lernen.
Was versteht man unter Trauerritualen?
Rituale begleiten einen Todesfall als Teil des Brauchtums und der Alltagskultur. Es geht dabei um tröstende, öffentliche oder private Handlungen, die nach einem Verlust als Handlungsanweisung dienen und Halt geben. Trauerrituale unterscheiden sich von Kultur zu Kultur. Sie verändern sich im Laufe der Zeit. So nimmt man bedeutenden Zeitgenossen heute meist keine Totenmaske mehr ab. Rituale der Trauer können in Deutschland sogar regional unterschiedlich ausfallen. Ihr Zweck ist es, den Hinterbliebenen einen Rahmen zu bieten, der beim Abschied nehmen und Verarbeiten hilft.
Ein Ritual kann zudem der Erinnerung an den Verstorbenen dienen. Manche Menschen schreiben noch eine Zeit lang Briefe an den Verstorbenen. Sie erzählen dabei von sich und erinnern sich an vergangene Gespräche mit dem oder der Verstorbenen. Die mit einem Todesfall verbundenen Rituale helfen dabei, den Verlust eines geliebten Menschen zu verarbeiten. Die damit verbundenen rituellen Handlungen erlauben es, dem Schmerz in einer angemessenen und gesellschaftlich akzeptierten Form Ausdruck zu verleihen. Trauerrituale dienen insbesondere für die erste Zeit der Verzweiflung als trostreiche Überlebenshilfen.
Welche Trauerrituale sind hilfreich?
Mit der Zeit können die meisten Menschen die Trauer überwinden. Vielen Hinterbliebenen ist nicht bewusst, dass uns in Deutschland zahlreiche Trauerrituale in Fleisch und Blut übergegangen sind, ohne dass wir sie als Trauerrituale wahrnehmen. Trotz aller Tabuisierung des Todes selbst haben wir eine Trauerkultur. Zu unterscheiden sind Rituale, die Trauerfeiern und Bestattungen begleiten und solche, die im Anschluss oder zu Jahrestagen vollzogen werden. In unserer Kultur sind folgende Trauerrituale bekannt:
- Waschung und Einkleidung des Verstorbenen
- Abendmahl bzw. Beichte und letzte Ölung
- optional: gemeinsames Bemalen des Sarges
- optional: Aufbahrung und Totenwache
- optional: Abschied am offenen Sarg
- Trauerrede als letzte öffentliche Würdigung
- Trauermusik mit Lieblingsliedern des Verstorbenen
- das Werfen von Blumen und Erde ins offene Grab
- gemeinsamer Leichenschmaus mit Trauergästen
- Kranzniederlegung an offiziellen Feiertagen und Gedenktagen
- sowie ganzjährige Grabpflege.
Auch nach der Beerdigung helfen Trauerrituale
Sie verleihen der Trauer Ausdruck und erlauben es, der Verstorbenen zu gedenken. An Jahrestagen oder Geburtstagen von Verstorbenen lassen Freunde und Verwandte Papierschiffchen mit Kerzen zu Wasser. Manche schicken Luftballon-Botschaften ins All. Hinterbliebene entzünden Kerzen in einer Kirche, legen Blumen auf das Grab oder laden Freunde ein, um beim Lieblingsessen des Verstorbenen an ihn zu denken. In regionalen Tageszeitungen werden an bestimmten Jahrestagen Erinnerungs-Anzeigen veröffentlicht. Diese zeigen an, dass der Verstorbene nicht vergessen ist. Für Verunfallte werden am Straßenrand Gedenkkreuze aufgestellt und Blumen abgelegt. Der Trauerort wird zum Mahnmal für andere.
Besonders eindrucksvoll waren die öffentlichen Trauerbekundungen nach dem Unfalltod von Prinzessin Diana. Tausende von Menschen nahmen so Abschied von der tragisch verunglückten „Königin der Herzen“. Moderne Rituale sind Gedenk-Webseiten und virtuelle Friedhöfe im Internet. Auch die Anfertigung von Erinnerungsdiamanten aus der Asche des Toten ist eine Möglichkeit, Abschied zu nehmen. Da der Tod eines nahestehenden Menschen auch für Kinder eine Zäsur darstellt, sollten sie an bestimmten Ritualen aktiv teilnehmen dürfen. Eine „Schatzkiste“ mit Erinnerungsstücken an den Verstorbenen kann dabei helfen, die Trauer zu überwinden.
Die Relevanz individueller Trauerrituale
Jeder Mensch trauert anders. Währen manche Menschen ihrem Kummer und Schmerz freien Lauf lassen, sind andere wie gelähmt. Sie fühlen sich unfähig zu weinen, sondern befinden sich in einem Schockzustand. Jedes Ritual sollte den Menschen angepasst werden, denen es Halt geben, Hilfe und Trost spenden soll. Manche Menschen brauchen Hilfe von außen, um ihre Trauer überwinden zu können. Insbesondere alleinstehende Menschen, die weder Freunde noch Familie haben, benötigen Unterstützung. Ihnen kann der Anschluss an eine Trauergruppe helfen, einen Abschluss zu finden und irgendwann einen Neuanfang zu wagen.
Der Tod stellt eine Zäsur dar. Er gehört zum Leben. Er wird in unserer Gesellschaft aber stark tabuisiert. Die allgemeine Erwartung ist, dass Trauende nach einer gewissen Zeit wieder am Leben teilnehmen und funktionieren. Doch das ist nicht jedem möglich. Mancher Abschied war so schwer und traumatisch, dass die Verarbeitung des Todes von geliebten Menschen ohne Hilfe nicht möglich ist. Das gilt insbesondere, wenn jemand sich das Leben genommen hat. Da die Umstände des Todes dramatisch sein können und Hinterbliebene unterschiedlich stark am Verlust eines geliebten Menschen leiden, muss die Trauer einen individuellen Ausdruck finden.
Trauer ist ein individueller Ausnahmezustand. Dieser verlangt nach Ausdruck und Bewältigung. Manchen Menschen helfen Trauerrituale, die aus anderen Kulturen stammen. Für Buddhisten können die Hinterbliebenen eine Puja lesen lassen. Wer im christlichen Glauben Trost findet, kann sich allein oder mit Freunden auf eine Pilgerreise begeben, um die Trauer zu überwinden. Trauerrituale werden für die Hinterbliebenen zur Überlebens- und Lebenshilfe. Sie lassen Erinnerungen wach werden, halten den Verstorbenen liebevoll im Leben und ermöglichen den Hinterbliebenen so das Weiterleben.
Trauerrituale, die schon vor dem Tod möglich sind
Weiß ein alter oder schwerkranker Mensch, dass er bald sterben wird, könnte man mit ihm zusammen einen Abschiedskoffer packen. In diesen legt der Sterbende alles, was ihm im Leben wichtig war – beispielsweise Tagebücher, ein Buch mit Gedichten, alte Postkarten, Reiseandenken oder geerbte Schmuckstücke. Jedes Stück in diesem Koffer wird mit Erinnerungen und Erzählungen über die Bedeutung des Objektes begleitet. Der Koffer wird so zum Symbol der letzten Reise im Leben. So wird den an diesem Trauerritual Beteiligten der Abschied vom Leben und vom Sterbenden leichter gemacht. Man teilt die letzte Zeit miteinander und bereitet sich gemeinsam sich auf das Sterben vor.
Wie ein Trauerritual Lebenshilfe bieten kann
Alles, was Sterbenden und Hinterbliebenen Trost spendet und als Hilfe dient, kann zum Ritual werden. Manche Familien haben eigene Trauerrituale, die an die Nachkommen weitergegeben werden. Fakt ist, dass junge Menschen von heute anders mit ihrer Trauer umgehen als ihre Vorfahren. Junge Menschen leben nicht mehr so stark in Traditionen. Sie sind offener für neue Ideen, die aus dem digitalen Zeitalter stammen. Die Bedürfnisse an Rituale sind so unterschiedlich wie die Menschen selbst. Wichtig ist, dass Trauerrituale die erste Zeit nach einem Trauerfall strukturieren. Sie können und sollen so als Lebenshilfe dienen.
Da Trauerarbeit immer individuell ist, helfen oft auch Bücher bei der Verarbeitung eines Verlustes. Junge Menschen können ihre Trauer bewältigen, indem sie ein Buch über den Verstorbenen verfassen und sich intensiv mit dessen Leben befassen. Ob das Buch eine Veröffentlichung wert ist, ist dabei nicht wichtig. Viel wichtiger ist die Liebe, die jemand hineinsteckt, um das Leben und den Verlust eines geliebten Menschen zu würdigen. Alle Bemühungen, die helfen, mit einem Verlust leben zu lernen, sind geeignete Trauerrituale. Was keine Lebenshilfe bietet, sondern nur eine gewohnheitsmäßige Handlungshülle darstellt, stellt in der Regel keine echte Hilfe dar.
Quellen:
https://november.de/ratgeber/trauerhilfe/trauerrituale/https://www.die-impulsgeberin.at/erlebte-trauerrituale-helfen/
https://www.mymoria.de/trauer/abschiedsrituale