Sterben dürfen!
Die höchstrichterliche Entscheidung des Verfassungsgerichtes erfordert eine Neuregelung der Sterbehilfe.
Wenn das Leben unerträglich ist, ist es nicht zu ertragen – physisch oder psychisch oder beides zusammen. Wenn das Leiden kein Ende hat und keine Hoffnung auf die Änderung der Situation besteht, bleibt als einzige Aufgabe des Lebens, die Unerträglichkeit auszuhalten, die nicht mehr auszuhalten ist. Der Sinn des Lebens ist, das Leiden zu beenden. Das Leben hat seinen Wert verloren.
Wenn Menschen in dieser Lage keinen Ausweg aus dieser Situation finden, sehen sie die Lösung im Ende. Nicht vorstellbar, mit welchen Methoden oder Mitteln dann das Leben auf unmenschliche Art und Weise sein Ende findet. Das Glück dieser Menschen bestand nicht nur darin, eine Methode der Selbsttötung gefunden zu haben, sondern auch darin, in der Lage gewesen zu sein, sie zu vollziehen.
Was ist aber mit den Menschen, die das nicht vermögen? Sie sind für den letzten Weg auf fremde Hilfe angewiesen.
Der Reformprozess – Schritte in die richtige Richtung?
1986 begannen durch die Gesetzesinitiative einer Arbeitsgruppe mit dem „Alternativentwurf eines Gesetzes über Sterbehilfe“ öffentliche Diskussionen um die gesetzlich erlaubte Hilfe beim Sterben. Nach Jahrzehnten andauernden theoretischen Abhandlungen unter juristischen Gesichtspunkten wurden 2008 sämtliche Argumente für eine Gesetzgebung zur Regelung der Sterbehilfe wieder verworfen. Aber vielleicht war das der Anstoß des öffentlichen Nachdenkens darüber, ob das Ziel ärztlichen Handelns zwingend die Lebensverlängerung sein muss.
Während seit 2009 die Patientenverfügung bei der Entscheidung, ob und unter welchen Umständen ein Leben weitergehen oder es zu Ende sein soll, dem Selbstbestimmungsrecht entgegenkommt, wird genau das in Sachen Sterbehilfe 2015 zur Problemsituation:
Der Bundestag hatte ein Gesetz beschlossen, das die „geschäftsmäßige Förderung der Selbsttötung“ strafbar gemacht hat.
Nach Paragraf 217 des Strafgesetzbuches beging jemand eine strafbare Handlung, der die Selbsttötung eines Anderen fördert, indem er ihm geschäftsmäßig die Gelegenheit dazu verschafft oder vermittelt. Ihnen drohte eine Geldstrafe oder eine Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren. Angehörige und nahestehende Personen waren davon ausgenommen, sofern sie nicht mehrmals so handelten.
Damit war es untersagt, geeignete Mittel zum Zwecke eines Suizids zu verschreiben.
Aufatmen bei all denen, die sich als potenzielle Mitwirkende der Sterbehilfe sehen: Mediziner und Juristen – in der Regel ist die Erlangung geeigneter Mittel für den Suizid ohne ärztliche Hilfe alternativlos. Juristen befürchten eine endlose Auseinandersetzung darüber, was als geschäftsmäßiges Handeln zu bewerten ist.
Im März 2017 setze das Bundesverwaltungsgericht mit einem Urteil ein deutliches Zeichen. Im Hintergrund dessen, dass ein Mensch über sich selbstbestimmt entscheiden darf – und damit eingeschlossen auch über sein Lebensende – hat das Gericht den Erwerb einer tödlichen Dosis von Natrium-Pentobarbital von Schwerkranken unter bestimmten, behördlich überwachten Voraussetzungen für den Suizid erlaubt. Damit wurde die Selbsttötung in Würde möglich.
Mit der Macht seines Amtes wies 2018 der damalige Gesundheitsminister das ihm unterstellte Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte an, sämtliche Anträge betroffener Schwerstkranker auf den Erhalt des todbringenden Mittels abzulehnen. Damit wurde das gesprochene Recht durch Ministerialerlass ignoriert.
Von den fast 200 eingegangenen Anträgen auf die Ausreichung des erlösenden Mittels wurde keiner bewilligt.
Die Betroffenen fühlten sich weiterhin ihrem endlosen Leid ausgeliefert. Alternativen der Selbsttötung scheinen nicht würdelos, sie sind es.
Am 26.2.2020 setzte das Bundesverfassungsgericht nach fünf Jahren der allgemeinen Hilflosigkeit im Umgang mit der Situation des gewünschten Todes ein Ende. Auf sechs Verfassungsbeschwerden folgte das Urteil: Es erklärte das gesetzliche Verbot und damit die Strafbarkeit der professionellen Förderung des Sterbens für nichtig. Es sah mit der Strafbarkeit das im Grundgesetz gesicherte Persönlichkeitsrecht, das Recht auf Selbstbestimmung auch für das Lebensende, nicht gewahrt.
Das oberste Gericht Deutschlands sah es als erwiesen, dass der Paragraf 217 des Strafgesetzbuches gegen das im Grundgesetz verbriefte Persönlichkeitsrecht verstößt, wenn er das Recht auf ein selbstbestimmtes Sterben und die damit verbundenen Freiheit, sich dafür Hilfe zu suchen, unter Strafe stellt.
Mit diesem Urteil hat das Gericht über das Recht gewacht und im Sinne der Betroffenen und ihrer Unterstützer Recht gesprochen. Unter strengen Voraussetzungen soll die nach wie vor umstrittene geschäftsmäßige Hilfe erlaubt sein. Damit ist der Weg für die notwendige weitere Klärung der Verfahrensweisen und die Schaffung der Rahmenbedingungen für die Sterbehilfe wieder offen.
Noch am selben Tag setzten sich Institutionen, Verbände, Kirchen, Parlamentsvertreter in Bewegung, zusammenzutragen, unter welchen Voraussetzungen der assistierte Suizid möglich sein kann. Das machte Hoffnung.
Die Hoffnung
Den Menschen, die sich derzeit von der unerträglichen Last ihres Leidens befreien wollen, ist mit der Öffnung der Gestaltung der Rahmenbedingungen für die Sterbehilfe nicht geholfen – ihnen bleibt die Hoffnung, dass ihr Leidensweg sich nicht um weitere Jahrzehnte verlängert.
Der durch das Urteil des Bundesverfassungsgerichts entstandene teilweise rechtsfreie Raum muss schnell gefüllt werden, damit die Handlungsfähigkeit der Helfer für den ärztlich assistierten Suizid hergestellt ist. Bis dahin bleibt den Sterbewilligen nur, auf unsichere und schmerzhafte Methoden zurückzugreifen und den Weg zum Lebensende ohne Würde zu gehen. Es ist an Zynismus nicht zu übertreffen, wenn schwerkranken Menschen, die über den Klageweg den Zugang zu Natrium-Pentobarbital erreichen wollen, höchstrichterlich mitgeteilt wird, es gäbe auch andere Wege, ihr Recht auf einen selbstbestimmten Tod zu verwirklichen.
Die aktuelle Gesetzeslage
Ob die Ausreichung oder der Erwerb eines geeigneten Mittels für einen Suizid in Würde oder die aktive Hilfe zum Sterben – der frei gewollte Tod als Ausdruck der Selbstbestimmtheit ist in Deutschland schwer zu legalisieren.
Die aktive Sterbehilfe als direkte Einwirkung und gezielte Handlung zur Herbeiführung des Todes eines Menschen ist und bleibt nicht erlaubt.
Nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichtes, das die professionelle Unterstützung der Sterbehilfe straffrei stellte, setzen im Frühjahr 2021 und 2022 Orientierungsdebatten zur Schaffung der Voraussetzungen mit entsprechenden Bedingungen zur Umsetzung des Urteils in der Praxis ein. Zahlreiche Vorschläge mit den jeweiligen Intentionen der Parteien schlugen sich in mehr als einem Gesetzentwurf nieder. Im November des gleichen Jahres erfolgten Anhörungen diverser Gremien und Lesungen erster Gesetzentwürfe im Bundestag.
Die eingebrachten Entwürfe lassen nicht nur die Einigkeit über die Gewährung des Persönlichkeitsrechts als Grundrecht für jedermann erkennen. Explizite Übereinstimmung herrscht auch darüber, dass zu einem selbstbestimmten Leben das selbstbestimmte Lebensende, der Tod gehört.
Christlich geprägte Menschen tendieren allerdings zu der grundsätzlichen Haltung, dass es nicht Aufgabe des Staates ist, die Tötung eines Menschen staatlich zu unterstützen.
Streitbare Kernpunkte sind derzeit unter anderen:
– das Alter des Sterbewilligen
– die Motivation des Sterbeverlangens
– mehrmalige fachärztliche Untersuchungen zur Feststellung der Autonomie der Entscheidung über das Sterbeverlangen
– verpflichtende Beratungen
– die Wartepflicht
– die Sicherung eines stabilen und dauerhaften Sterbeverlangens
– der Ausschluss des Sterbeverlangens in kurzzeitigen Krisensituationen
– Regelungen über den Zugang zu geeigneten Mitteln
– die staatliche Finanzierung, die ein Gewinnstreben unmöglich macht
– Regelungen zum Berufs- und Strafrecht der Mediziner
– das Werbeverbot
Die Freiheit der Entscheidung und ihre Grenzen
Die Herbeiführung des Todes auf den geäußerten oder mutmaßlichen Wunsch eines Menschen bewegt sich in einer Grauzone zwischen Handlungen und Unterlassungen fern der Legalität und der in gewünschter gesetzlicher Klarheit. Es gibt keine verlässlichen Untersuchungen aller Fälle, bei denen das Sterbenlassen durch Unterlassen lebenserhaltender Maßnahmen den gewünschten Tod gebracht hat.
Für den unterstützenden Helfer ist es unerheblich, ob ein Mittel verabreicht oder zur Selbsteinnahme zur Verfügung gestellt wird. So oder so, das Helfen zum Sterben wird immer mit gravierenden Konflikten einhergehen.
Mit dem Blick auf den gesetzlich erlaubten Schwangerschaftsabbruch sind für den Vollzug nicht nur der Willen des Betroffenen ausschlaggebend, sondern auch und gleichermaßen die Menschen, die um Hilfe ersucht werden. Ihnen muss die Freiheit der eigenen Entscheidung auch in der Ausübung seines Berufes bleiben, Hilfe zu leisten oder sie zu verwehren – auch, wenn ihnen ein Gesetz die Rechtssicherheit der Straffreiheit garantiert.
Die Grenzen der Entscheidung setzt das Gewissen derer, die Hilfe leisten. Öffentliche Positionen und Gesetze bleiben der Orientierungsrahmen, den der handelnde Mensch getreu seines Gewissens ausfüllen muss, denn mit ihm will er selbst selbstbestimmt und in Würde leben.
Vielleicht ist das Sterbenlassen ein Ausweg?