„Die Trauer hat meine Kunst verändert“ – Fotografin Annette Pankow im Gespräch
Annette Pankow ist Fotografin mit Leidenschaft. Die Hamburger Weltenbummlerin hat rund um die Erde unterschiedlichste Menschen, Landschaften und Stillleben mit ihrer Kamera eingefangen. Gern und oft begleitet sie auch festliche Anlässe durch die Linse ihres Fotoapparates. 2019 entstand zudem ihre erste Kunstausstellung mit Portraits von Menschen aus dem Hamburger Stadtteil Steilshoop, die einige Wochen in einem örtlichen Einkaufszentrum gezeigt und von mehreren tausend Besucher täglich angesehen wurde. Wie dicht Licht und Schatten beieinander liegen, erfuhr Annette Pankow aber auch in eben dieser Zeit, als sie parallel ihre Mutter beim Sterben begleitete. Was dieser Verlust mit ihr und ihrer künstlerischen Arbeit gemacht hat, erzählt die Fotografin im Interview.
Annette, Du hast das Sterben Deiner Mutter ganz bewusst und eng begleitet. Was hat diese Erfahrung mit Dir gemacht?
Meine Mutter ist vergangen Oktober im Alter von 93 Jahren an einer Lungenentzündung verstorben. Und obwohl das ja schon ein sehr hohes Alter ist, hat die Erfahrung, die ich dabei mit dem Sterben gemach habe, meinen Alltag und meine Arbeit nachhaltig beeinflusst. Im Gegensatz zu früher bin ich jetzt viel mehr in der Natur unterwegs. Und ich habe mir Ziele gesetzt. Beipielsweise habe ich mir vorgenommen, einen Fluß mit dem SUP-Board (Stand-Up-Paddeling) hinabzufahren. Ursprünglich war geplant, das in Polen auf der Oder oder der Weichsel zu machen, das hat aber bislang nicht geklappt. Deshalb bin ich im vergangenen Sommer ein kleines Stück auf der Elbe von Neu Darchau bis Bleckede – das ist, wo meine Mutter gewohnt hat – gepaddelt. Ein unheimlich intensives Erlebnis, so ganz allein mit sich selbst auf dem Strom.
Und hat der Tod Deiner Mutter auch Deine Art zu fotografieren verändert?
Eher meine Sicht auf das Fotografieren selbst. Ich habe für mich festgestellt, dass es nicht mehr so wichtig ist, jeden Augenblick, den man als außergewöhnlich empfindet festzuhalten. Immer öfter denke ich jetzt, dass es reicht, den Moment erlebt zu haben und im Kopf zu behalten. Ich kenne auch viele Menschen, die haben den Keller voller Fotoalben und werfen nie einen Blick hinein. Da frage ich mich dann, was ist der Sinn, warum hat man diese Aufnahmen überhaupt gemacht?
Was ist Dir vom Abschiednehmen von Deiner Mutter am nachhaltigsten in Erinnerung geblieben?
Meine Mutter konnte zum Schluss nicht mehr sprechen. Mir war es aber aber wichtig, das zwischen uns nichts ungesagt bleiben würde. Deshalb haben wir ganz viel über Berührungen und über unsere Augen kommuniziert. Ganz besonders ist mir in Erinnerung geblieben, dass ich einmal meine Operation an den Mandeln erwähnte, die ich als Kind über mich ergehen lassen musste. Meine Mutter hob darauf ihren Arm und leckte mehrfach über ihren Handrücken. Ja, schoss es mir in den Kopf, stimmt, danach durfte ich ganz viel Eis schlecken. Wir haben beide gelacht. Diese Erfahrung hat uns einander näher gebracht. Und am Ende hatten ich und – ich glaube auch sie – das Gefühl, dass wir miteinander vollständig im Reinen waren. Das hilft mir auch jetzt noch. Obwohl das Sterben letztendlich lang und grauenhaft war. Vielleicht auch deshalb habe ich dann kurz nach dem Tod meiner Mutter eine Hypnosetherapie gemacht. Dabei sind eine ganze Reihe interessanter Dinge zu Tage gekommen. Beispielsweise, warum ich überhaupt Fotografin geworden bin.
Der Grund dafür ist, und hier schließt sich irgendwie auch der Kreis, das ich als Kind nur sehr schlecht hören konnte. Bis zum Kindergartenalter, dann hat sich das im Laufe der Zeit gegeben. Aus diesem Grund musste ich immer sehr genau auf die Gesichter der Menschen achten, um zu verstehen was sie zu mir gesagt haben. Und dieses genaue Beobachten von Mund, Augen und Mimik ist immer geblieben und spiegelt sich auch heute noch in meiner Arbeit als Fotografin wider.
Hast Du nach dem Tod Deiner Mutter auch noch auf andere Weise Abschied genommen?
Ja, ich habe einen Brief geschrieben, der auf der Trauerfeier vorgelesen wurde. Ich bin zwar nicht gläubig, aber es war mir wichtig, dass einige Dinge, einige meiner Gefühle, nochmal ausdrücklich zur Sprache gekommen sind. Außerdem habe ich eine Reihe von Fotos, an denen mir viel liegt, im Haus meiner Mutter aufgehängt. Auch das hat mir viel bedeutet. Zumal ich meine Mutter gern zum Sterben in dieses Haus, ihr Zuhause, geholt hätte. Das war aber aufgrund ihrer Krankheit nicht mehr möglich.
Kannst Du Menschen in einer ähnlichen Situation Ratschläge geben, die vielleicht helfen, den Verlust besser zu verwinden?
Ich glaube es ist wichtig, sich vorab über der Prozess des Sterbens klar zu werden. Was passiert da im Körper – und mit dem Geist? Womit muss man rechnen? Dabei hilft es auch, etwa mit Ärzten und Seelsorgern zu sprechen. Ich habe dabei auch nie ein Blatt vor den Mund genommen. Dinge, die geklärt werden mussten, hab‘ ich auch im Beisein meiner Mutter angesprochen. Man sollte außerdem zusehen, dass alles Materielle soweit wie möglich geklärt ist. Denn wenn die Zeit vorüber ist, ist es zu spät Fragen zu stellen. In den letzten gemeinsamen Momenten sollte man sich auch vor körperlicher Nähe nicht scheuen. Manchmal ist ein Händehalten oder eine Umarmung alles, was man noch hat. Die 33 Ratschläge für Trauernde, die es auch auf diesem Trauerblog gibt, hatte ich in anderer Form auch schon mal gelesen. Dabei sind viele Dinge, die mir geholfen haben.
Zudem bin ich der Meinung. dass es beim Trauern kein Richtig oder Falsch gibt. Oftmals tut man gefühlsmäßig schon das Richtige. Entscheiden dabei, dass man letztenendes mit sich im Reinen ist. Dann fällt auch das Erinnern leichter und kann mit der Zeit zu etwas sehr Schönem werden.
Ich bedanke mich für das Gespräch.