Hilfe für Angehörige bei Suizid
Selbstötung (Suizid) ist hierzulande immer noch in Tabu-Thema. Dabei wäre es für viele Angehörige hilfreich, wenn sie hierzu offen sprechen könnten.

Warum Menschen Suizid begehen, ist immer individuell unterschiedlich. Für die Hinterbliebenen kann das in gewisser Weise nachvollziehbar sein, doch die meisten Angehörigen bleiben ratlos zurück. Seien wir ehrlich: Wir wollen nicht über das Sterben sprechen. Dennoch bleibt die Wahrheit, dass jeder Mensch irgendwann sterben muss. Manchmal geschieht dies aufgrund der Tatsache, dass der Verstorbene bereits ein hohes Alter erreicht hat, aber manchmal geschieht es aufgrund der Tatsache, dass eine schwere Krankheit das eigene Leben früh beendet. In den meisten Fällen aber haben die Lebenden dden Vorteil, sich verabschieden zu können.
Es sterben jedes Jahr dreimal so viele Angehörige durch Selbstmord wie durch Unfälle. Trotzdem ist Selbstmord in unserer Gesellschaft nach wie vor ein Tabuthema. Das kann auch daran liegen, dass Suizid Angehörige zu Hause schweigen; nichts sagen, da sie es nicht aushalten können und es sie wirklich sprachlos macht. Sie verstehen nicht, wie ein geliebter Mensch einen Suizid durchführen konnte.
Suizid – wie damit umgehen? – Suizid-Hilfe für Hinterbliebene
Er nahm sich das Leben – was mache ich jetzt? Diese Frage stellen sich viele, wenn ein Selbstmord begangen wurde. Jeder Selbstmord hinterlässt Hinterbliebene – Partner, Kinder, Vater und Mutter und auch Freunde – die weiterleben müssen. Und trotz der Tatsache, dass jeder Selbstmord einen eigenen Charakter hat und jeder auf seine Weise trauert, kann geholfen werden, als Betroffener besser zu überleben.
Trauer Suizid: Wie können also Familie, Freunde und Bekannte den Überlebenden bei einem Selbstmordfall beistehen? Was müssen sie wirklich tun – und was sollten sie auf keinen Fall tun? Wie sollen sie ihre Trauer nach Suizid verarbeiten?
Suizid-Hilfe für Angehörige
1. Sinnvolle Angebote machen
Jeder, der ein Suizid Opfer ist, möchte entweder schnell fliehen oder schnell helfen. Um die Schmerzen so schnell wie möglich zu stoppen oder zumindest zu lindern, helfen manche Menschen leichtfertig. Aber viele davon sind nicht durchdacht und auf Dauer nicht tragbar. „Ich war immer an deiner Seite!“ Das ist zum Beispiel ein klassisches Angebot, welches unrealistisch ist. Denn das kann niemand rund 24/7. Nur wenn wir auf uns selbst achten, unsere Grenzen verstehen und mit ihnen kommunizieren, können wir anderen helfen. Daher ist es am besten, konkrete, wichtige und praktische Hilfestellungen zu geben: „Ich bin an Ihrer Seite. Ich gehe heute Abend nach Hause, aber ich bringe das Telefon ins Bett und hole dich morgen früh zum Frühstück ab.“ Diejenigen, die ihre Lieben verloren haben, werden wohltuende Verlässlichkeit erfahren, anstatt gebrochene Versprechen. Denn am Ende ist Selbstmord genau das: Ein gebrochenes Versprechen, egal, welche Suizid Gründe der Verstorbene hatte.
2. Schmerz mittragen
Die Trümmer, die ein Selbstmord hinterlassen hat, können groß und schwer zu handhaben sein. Für Menschen, die ihre Lieben, der sich suizidiert hat, verloren haben, ist das fast unerträglich – aber sie müssen es tun! Ihre Freunde jedoch nicht. Möglicherweise kannten sie den Verstorbenen, also verloren sie ihre Lieben ebenso. Dann bekämpfen sie ihre eigenen Verluste, was auch Platz braucht. Es ist nicht ungewöhnlich, dass sie Abstand zu Verwandten halten. Weil sie den Schmerz von sich selbst und anderen nicht mehr ertragen können.
Für Angehörige hat sich die Schwierigkeit verdoppelt: Nicht nur der Angehörige ist verstorben, auch andere Angehörige halten Abstand. Nicht selten distanzieren sich Freunde von Angehörigen von Suizidopfern. Das sollte nicht getan werden! Stattdessen sollte man sich dem Schmerz stellen und sich Unterstützung holen. Der Betroffene sollte ehrlich sein, wenn er sich zu beschäftigt fühlt und eine Pause braucht. Aber niemand sollte sich einfach aus dem Leben des Betroffenen verschwinden! Denn das habt er durch den Selbstmord erlebt.
3. Verbesserung der Selbstwirksamkeit
Da es keine allgemeingültige Anleitung gibt, was nach dem Suizid eines geliebten Menschen zu tun ist, denken viele Menschen, dass jemand, der einen geliebten Menschen verloren hat, genauso hilflos ist wie der Betroffene selbst. Sie versuchen also, ihnen beim Bewältigen so gut wie möglich zu helfen. Ja, sie benötigen auch viel Unterstützung. Am besten das Problem auf viele Menschen verteilen, damit niemand überfordert wird. Denn dies hilft sehr, zumindest für eine Weile.
Allerdings sollte die Unterstützung immer Ziele beinhalten, die irgendwann wieder eigenständig werden. Denn als Überlebender eines Suizids müssen wir erfahren, dass wir noch etwas tun können. Eine der wichtigsten Erfahrungen ist Selbstwirksamkeit, denn sie zeigt uns: „Ich kann leben ohne den, den ich liebe. Ich kann das. Ich kann es.“ Dies geschieht, wenn wir ermutigt werden, uns unserem Leben wieder zu stellen und unser eigenes Hilfsnetzwerk selbst koordinieren. Wir werden als Experten in unserem Leben respektiert – auch wenn einige unserer Ideen und Entscheidungen verrückt klingen mögen.
4. Akzeptiere das Verrücktsein
Die spontane Reaktion auf schockierende Nachrichten wie Selbstmord besteht darin, so zu helfen, wie man selbst in dieser Situation Hilfe bekommen möchten. Aber auch die Art und Weise, wie wir hoffen, Hilfe zu bekommen, ist sehr individuell: Was dem einen hilft, braucht der andere überhaupt nicht. Missverständnisse sind daher vorprogrammiert: Die Reaktion eines Menschen, der einen geliebten Menschen verloren hat, ist ganz anders als die eigene. Oder ganz anders als vorher. Plötzlich schien er eine andere Person zu sein! Und das ist die Tatsache. Ein Teil von ihm starb mit seinen Lieben. Früher war ich „ver-rückt“ und musste mich erst selbst finden.
Aber gerade in diesen „ver-rückten Zeiten“ brauchen Angehörige, die ihre Liebsten verloren haben, Konstanten, auf die sie sich verlassen können. Man braucht sich auch selbst! Auch wenn man nicht alles verstehen kann, ärgert man sich, weil man ganz andere Meinungen hat. Es sollte aber versucht werden, dies als Chance zu sehen, in dieser Beziehung zu wachsen: Respektiert man die Unterschiede des anderen, lernt man sich und einander auf neue Weise kennen.
Geduld zeigen
Überlebende eines Suizids werden höchstwahrscheinlich nie die Menschen sein, die sie vorher waren. Aber ihre Essenz existiert immer noch. Wenn man ihm Zeit zum Wachsen gibt, wird er in den meisten Fällen eine neue und aufregende Persönlichkeit hervorbringen. Oft wird jedoch, wenn ein Jahr vergangen ist, erwartet, dass sie jetzt in die „normale Existenz“ zurückkehren. Aber „normal“ existiert nicht mehr, denn ein Sterben ist endgültig. Es gibt kein Zurück und auch die neue Existenz muss sich erst entwickeln.
Trauerprozesse brauchen Zeit. An einem bestimmten Punkt kann sich der Trauernde mit Hilfe der Selbsthilfe aus diesem Tiefpunkt erheben und es wagen, von der Spitze des Berges einen weitreichenden Blick auf seine neue Existenz zu werfen.
Nächstenliebe
Im christlichen Umfeld ist die Herausforderung „Selbstmord“ meist noch weiter tabu in der Gesellschaft. Es wurde lange Zeit zum gelehrten philosophischen System der Kirche, dass „Selbstmörder“ durch ihre Tat „ihr Seelenheil verlieren“ und nicht zu Gott aufsteigen dürfen. Die theologischen „Ausläufer“ sind doch häufig wahrnehmbar, obwohl dies heute von immer weniger Christen so gesehen wird.
Vor diesem Hintergrund haben es die christlichen Mitwirkenden häufig schwerer als früher. Denn zu dem ganzen Strom von Emotionen, der Trauer, Wut und Schuld, gesellen sich dann noch Zweifel.
Da man die Realität nicht kennt, gilt die Strategie der Nächstenliebe vor allem in der Gegenwart auf alle anderen Zweifel der Religion. Deshalb ist jetzt nicht die Zeit, Diskussionen über Prinzipien anzufangen! Mit gut gemeinten, aber trotzdem fehlplatzierten Glaubensaussagen zu trösten, ist auch nicht besser. Diese umfassen: „Du wirst jetzt nicht weniger Liebe von Gott bekommen“ oder „Alles wird UNS zum Besten dienen“. Überlebende eines Selbstmordes befinden sich in einer existenziellen Krise. Da helfen keine Vorträge oder Empfehlungen, da hilft nur die Liebe. Gottes Liebe durch sich selbst. Deshalb: Zuhören, aushalten, beten! Einfach da sein. Und man erkennt: Es reicht.
Wer diese schwere Zeit überstehen möchte, sollte nicht zögern, sich Hilfe zu holen. Auch wenn der Weg vorerst aussichtslos erscheint, können die genannten Punkte sehr weiterhelfen, um aus dieser dunklen Phase herauszukommen. Die Trauerphasen sollten Schritt für Schritt durchgegangen werden, am besten mit einer Person, die dabei unterstützt. Eine weitere große Hilfe kann die Selbstfürsorge sein, welche in dieser Zeit eine besondere Beachtung verdient. Dabei ist es ebenso wichtig, abzuschätzen, was sich der Betroffene selbst zutraut und wo seine Grenzen liegen.